1. DEFINITION
Nach den deutschen Steuergesetzen löst jede Aufdeckung stiller Reserven eine Besteuerung aus. Sie sind insbesondere dann aufzudecken, wenn Deutschland das Besteuerungsrecht an diesen stillen Reserven verliert, z.B. durch den Wegzug eines Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft (Wegzugsbesteuerung1. DEFINITION Relevant für Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft. Nach § 6 AStG greift die Wegzugsbesteuerung auf Anteile einer Kapitalgesellschaft (z.B. GmbH) bei einer natürlichen Person, deren unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet. Dabei muss eine Beteiligung nach... More), einer Entstrickung1. DEFINITION Entstrickung bzw. Verlagerung einzelner Wirtschaftsgüter ins Ausland. Nach den §§ 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG für Einzelunternehmen und Personengesellschaften und nach § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG für Kapitalgesellschaften führt jeder Ausschluss des Besteuerungsrechts... More oder Funktionsverlagerung1. DEFINITION Nach § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG ist eine Funktionsverlagerung als Verlagerung einer Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken und der mit übertragenen oder überlassenen Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteile definiert. Die Funktionsverlagerung führt demnach bei jeder... More. Stille Reserven sind bisher unrealisierte Wertsteigerungen von Wirtschaftsgütern bzw. Vermögensgegenständen.
Stille Reserven bezeichnen also den Unterschiedsbetrag zwischen dem tatsächlichen Wert eines Wirtschaftsguts gegenüber dem Buchwert bzw. den Anschaffungskosten abzüglich etwaiger Abschreibungen. Dabei spielt es keine Rolle, ob du Einnahmen-Überschuss-Rechner oder Bilanzierer bist.
Wenn ein Unternehmen z.B. vor 15 Jahren ein Grundstück in München gekauft hat, steht das mit dem Kaufpreis in den Büchern, dürfte aber den ein oder anderen Euro mehr wert sein. Es schlummern also stille Reserven in dem Grundstück.
Stille Reserven sind bis zu ihrer Aufdeckung allerdings nicht real, sondern lediglich eine theoretische Größe. Und genau diese Aufdeckung erfolgt durch eine Veräußerung oder einem Ersatztatbestand (z.B. einer Auswanderung). Bei einem Ersatztatbestand wird eine fiktive Veräußerung angenommen und es ist ein fiktiver Veräußerungsgewinn zu besteuern. Insbesondere bei immateriellen Wirtschaftsgütern sind stille Reserven bedeutend, da diese meist selbst geschaffen wurden (dann wäre der Buchwert 0 €), oft aber hohe Marktwerte haben.
Anbei einige gängige Beispiele von Wirtschaftsgütern bzw. Vermögenswerten, in denen häufig erhebliche stille Reserven stecken:
- Kundenstamm / E-Mail-Liste
- Lieferantenbeziehungen
- (Eingetragene) Marke, Domain
- Patente, Geschmacksmuster, Schutzrechte etc.
- Prozesse, Arbeitsabläufe, System, Konzepte
- Listing bei Amazon und co.
- Nischenseite bzw. Affiliate-Business
- Online-Reichweite in sozialen Medien
- Digitale Produkte wie Onlinekurse, E-Books etc.
Beispiel:
Ein deutsches Unternehmen, dass sich auf Nischenseiten bzw. Affiliate-Business spezialisiert hat, verlagert den Geschäftsbetrieb ins Ausland. Wenn die Nischenseiten aus dem deutschen Unternehmen vor der Auswanderung verkauft würden (Aufdeckung der stillen Reserven), müsste der Gewinn besteuert werden. Der Gewinn dürfte dabei der volle Verkaufspreis sein, da der Buchwert wahrscheinlich 0 € entspricht. Nun werden die Nischenseiten auf ein ausländisches Unternehmen verlagert. Wenn die Nischenseiten später aus dem ausländischen Unternehmen verkauft werden, ist der Gewinn nur dort und nicht in Deutschland zu besteuern. Deutschland hat also das Besteuerungsrecht verloren. Daher wird im Zeitpunkt der Verlagerung der Nischenseite eine Entnahme (in Höhe der stillen Reserven) angenommen und der fiktive Veräußerungsgewinn ist im deutschen Unternehmen zu versteuern (Wegzugssteuern auf die stillen Reserven).
2. DIE AUSWIRKUNGEN FÜR AUSWANDERER
Für Auswanderer mit einem deutschen Unternehmen sind stille Reserven also der entscheidende Maßstab, ob Wegzugsteuern durch die Auswanderung bzw. Verlagerung des Geschäftsbetriebs ins Ausland entstehen und wenn ja, in welcher Höhe.
Außerdem können in privaten Vermögensanlagen stille Reserven vorhanden sein. Aktuell gibt es für diese stille Reserven keine Regelungen zur Entstrickung1. DEFINITION Entstrickung bzw. Verlagerung einzelner Wirtschaftsgüter ins Ausland. Nach den §§ 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG für Einzelunternehmen und Personengesellschaften und nach § 12 Abs. 1 Satz 1 KStG für Kapitalgesellschaften führt jeder Ausschluss des Besteuerungsrechts... More bei einer Auswanderung. Das heißt, derzeit kann man z.B. mit unrealisierten Wertsteigerungen in Aktien oder Kryptowährungen auswandern und die Wertsteigerungen im Ausland steuerfrei realisieren. Wenn man es richtig macht. In Österreich wäre das z.B. nicht mehr möglich.
3. WEITERE HINWEISE
Stille Reserven im Zusammenhang mit Wegzugssteuern werden in den Schritten 4 bis 6 der 7 Schritte zu einer rechtssicheren Auswanderung besprochen. Eine Übersicht aller 7 Schritte gibt es im Fahrplan zu einer rechtssicheren Auswanderung.
Was genau unter dem gewöhnlichen Aufenthalt zu verstehen ist, erklären wir in diesem Fachartikel. Was du beachten musst, wenn du deinen Wohnsitz abmelden möchtest, erfährst du hier.